Der 1905 entwickelte Schlieffen-Plan, benannt nach seinem Autor, dem preußischen Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen (1833-1913), bildete die Grundlage der deutschen Militäroperationen zu Beginn des Ersten Weltkriegs.
Er sah für den Fall eines möglichen Zweifrontenkrieges vor, das deutsche Heer zunächst im Westen gegen Frankreich einzusetzen, wobei der Hauptangriff durch das neutrale Belgien von Norden erfolgen sollte. Nach einem Sieg über Frankreich innerhalb weniger Wochen sollte das deutsche Heer sich nach Osten wenden, um gegen Russland vorzugehen.
Schlieffens Plan basierte bereits zu seiner Entstehungszeit auf sehr optimistischen, am Vorabend des Ersten Weltkriegs aber bereits falschen Einschätzungen der politischen und militärischen Lage.
- Großbritannien wird im Falle des deutschen Durchmarschs durch Belgien zwar gegen die Verletzung der Neutralität protestieren, aber zunächst nicht eingreifen. Der britische Premier und Außenminister Salisbury hatte durchblicken lassen, dass im Falle eines deutsch-französischen Konflikts Großbritannien die Neutralität Belgiens nicht verteidigen wolle. Auch der Umstand, dass Frankreich und Großbritannien noch 1899 selbst am Rande eines Krieges standen, hat Schlieffen wohl in dieser Fehleinschätzung bestärkt. Sollte Großbritannien angesichts eines drohenden deutschen Sieges sich doch dazu entschließen, seine Splendid isolation aufzugeben und Frankreich zu helfen, würde es bereits zu spät sein.
- Russland ist durch den Konflikt mit Japan im Fernen Osten gebunden und kann daher in Europa nur einen Teil seiner Kräfte einsetzen. Diese Einschätzung entstand unter dem unmittelbaren Eindruck des Russisch-Japanischen Krieges, an dem Schlieffen als Beobachter selbst teilgenommen hatte. Schlieffen hielt diesen Konflikt für unversöhnlich und Russland letztlich für stärker als Japan, weshalb er annahm, Russland würde auch nach einem vorläufigen Friedensschluss weiterhin starke Truppen im Fernen Osten belassen und nur auf eine günstige Gelegenheit zur Revanche warten.
- Schlieffen sah den Einsatz von 96 Divisionen im Westen vor; dies waren bis zu 24 Divisionen mehr, als das deutsche Heer zu diesem Zeitpunkt überhaupt aufbieten konnte, da ein Hauptteil der finanziellen Mittel für das Flottenrüsten gebunden war. Im Sommer 1914 standen schließlich nur 80 deutsche Divisionen mit etwa 1,6 Millionen Mann einem fast gleichstarken französischen Heer gegenüber. Bei einem annähernden Gleichgewicht der Kräfte wäre ein deutscher Sieg nur bei einer genialen Führung möglich gewesen. Eine solche, allein auf das eigene Glück und Unterschätzung der Kampfmoral des Gegners vertrauende Strategie war abenteuerlich und überschätzte die militärischen Möglichkeiten.
Kein Reichskanzler erhob einen Einwand gegen den Plan. Wegen der besonderen Stellung des Militärs, das nur dem Kaiser, nicht aber dem Reichskanzler unterstand, gab es vor 1914 keine einzige Sitzung des Kriegsrates, in der Regierungspolitiker sich an Diskussionen über die Pläne des Militärs hätten beteiligen können.
Der Hauptfehler des Schlieffen-Plans bestand in der nicht ausreichend berücksichtigten Kapazitätsvergrößerung des Transportwesens in den Jahrzehnten vor dem Krieg. 1914 versagte der Schlieffen-Plan aus logistischen Gründen, denn der Vorstoß der deutschen Einheiten wurde durch zerstörte Brücken und Eisenbahnlinien aufgehalten, während die Franzosen auf der Eisenbahn schneller waren.
Die Umsetzung des Plans scheiterte 1914 auch, weil sich die dem Plan zugrunde liegenden politischen und militärischen Allianzen zwischenzeitlich zu Ungunsten Deutschlands verändert hatten.